Bakexit?

…die erste Expedition im Ausland: England

Die Ausrüstung war verstaut, die Expedition konnte endlich losgehen. Das erste Ziel sollte England sein. Ehrlich gesagt, ging es mir bei meiner Reise ins Vereinigte Königreich zunächst um das Auffrischen meiner sträflich vernachlässigten Sprachkenntnisse. Wenn ich schon durch Europa reisen wollte, sollte ich doch zumindest die wichtigste Fremdsprache wieder einigermaßen beherrschen. Englisch hatte ich zwar in der Schule gelernt, aber das ist immerhin 35 „years ago“. Auf Anhieb ist da nicht viel abrufbar, vor allem nicht auf die Schnelle. Was ich hörte, musste ich immer erst einmal mühevoll in Gedanken übersetzen, bevor ich anfing, das Gesagte auch zu verstehen. Mit dieser Erkenntnis ging es mit dem Wohnmobil nach England, wobei mich meine Freundin, Katrin Benz, begleitete.

Katrin ist ebenfalls gelernte Bäckerin und backt bis heute leidenschaftlich gerne. Ihren kompletten Urlaub hatte sie geopfert, um mich bei dieser Test-Tour begleiten zu können. Wir reisten quer durch Luxemburg und Belgien bis hoch nach Dünkirchen. Die Fähre nach Dover sollte am nächsten Morgen um fünf Uhr ablegen. Die Überfahrt dauerte knapp zwei Stunden. Währenddessen ging mir alles Mögliche durch den Kopf, beispielsweise der Linksverkehr auf der Insel und die Kreisverkehre im Uhrzeigersinn. Das war ungewohnt, und mir war ziemlich mulmig bei dem Gedanken.

Ich dachte aber auch an das berühmt-berüchtigte englische Toastbrot. Natürlich hegte ich das landläufige Vorurteil, dass Engländer keine Ahnung von Sauerteig haben, geschweige denn, ein für uns Deutsche gewohntes und schmackhaftes Brot backen können. Dann kamen mir auch noch Klima und Wetter des Königreichs in den Sinn. Nebel, Regen, wenig Sonne, viel Wind, Regen, Nebel, so stellten wir uns die nächsten sechs Wochen vor. Wir waren voller Vorurteile, und im Grunde gab es fast nichts außer der Sprache, was mich bis dahin an Great Britain interessierte.

In Dover angekommen, war ich von den hohen Klippen, die man schon aus weiter Entfernung erkennen konnte, dennoch sehr beeindruckt. Die Sonne schien, und der Blick auf die Insel war einfach atemberaubend. Endlich keimte etwas Reiselust in mir auf. Kati war schon bei der Abreise voller Tatendrang, für sie war es ja auch ein längerer Urlaub von ihrem normalen Arbeitsalltag. Für mich war es die Testphase. Wie werden die Inhaber der Bäckereien auf mein Vorhaben reagieren? Wird es wundervolle Geschichten aus Great Britain geben oder endet diese Reise in einem „Bakexit“?

Direkt nach dem Anlegen orientierte ich mich zuerst einmal an den Lastwagen, die in Richtung Autobahn fuhren. Bleib geduldig und lerne, sagte ich mir. So hielt ich es die ersten dreißig Kilometer, indem ich mich hinter einen Lastzug heftete, bis ich mich an die Verkehrsgegebenheiten einigermaßen gewöhnt hatte.

Kati forderte ich auf, ebenfalls nun etwas wachsamer zu sein, wenn ich fahre, denn vier Augen sehen bekanntlich besser als zwei. Auf keinen Fall wollte ich nach London, denn ich war ja auf der Suche nach historischen ländlichen Bäckereien, falls es die überhaupt gab. Daher beschlossen wir, Großbritannien entlang der Küste einmal zu umrunden und zu sehen, was wir auf diesem Weg finden.

Stonehenge war trotzdem ein Pflichtstop, wenn wir schon in der Nähe waren. Allerdings gestaltete sich unser Stop eher zu einem Flop. Alles war vollkommen kommerziell organisiert und wir kamen mit den berühmten Steinen aus der Jungsteinzeit erst gar nicht in Berührung. Ein spirituelles Erlebnis war da ein aussichtsloses Unterfangen und beraubte den Ort jeglicher magischen Ausstrahlung.

Also verfolgten wir meinen Plan weiter, eine geeignete Bäckerei zu finden. Dafür recherchierte ich im Internet und fand dort die „Hedgehog Bakery“ in Long Crichel. Organic, handmade, wood-fired, waren die Schlagworte auf der Internetseite. Also genau das, was wir suchten. Wir konnten unser Glück kaum fassen und fuhren direkt dorthin.

Die Straßen wurden immer kleiner. Links und rechts gab es keine Fahrbahnbegrenzungen oder Straßenpfosten mehr, geschweige denn Leitplanken. Die Straße war von endlosen Hecken gesäumt. Die waren allerdings mindestens vier Meter hoch, und ich kam mir vor wie in einem Labyrinth. Von Hecke zu Hecke war die Straße maximal fünf Meter breit. Entgegenkommende LKWs verlangsamten keineswegs ihre Geschwindigkeit. Mein linker Seitenspiegel war ständig im Kontakt mit den Hecken, aber ich dachte, wenn ich weit genug links fahre, dann wird es schon passen. Jedes Mal schloss ich automatisch die Augen, wenn sich der etwas „breitere“ Gegenverkehr an mir vorbeidrängelte. Ich brachte mit dem Wohnmobil ja auch eine beachtliche Breite von etwa 2,5 Meter mit. Ich wäre dort als Beifahrer wohl vor Angst gestorben, aber Kati war außergewöhnlich cool und motiviert auf dem Beifahrersitz.

Das Fahren auf den Straßen rund um die kleineren Ortschaften war wirklich sehr anstrengend, aber letztendlich waren wir irgendwann in Long Crichel angekommen. Die „Hedgehog Bakery“ fand ich recht schnell. Wir bewunderten das Gebäude und waren von Anfang an von dem Anwesen fasziniert. Einer Angestellten versuchte ich mein Anliegen, so gut es ging, zu erklären. Sie rief die Chefin des Hauses, und wir warteten solange im Flur. Dieser wirkte etwas schmuddelig mit dem, was da alles so im Weg herumstand. Das sind wir in Deutschland gar nicht so gewohnt. In England wird es deutlich entspannter gehandhabt.

Die Chefin kam irgendwann die Treppe herunter, ich wiederholte meine Vorstellung und bat um einen Termin zum Mitarbeiten, die Erlaubnis, einige Fotos zu machen und über ihr Unternehmen in Tommys Backwelt zu berichten. Irgendwie schien sie nicht so sehr von dieser Idee überzeugt zu sein, und ich merkte rasch, dass wir die betriebsinterne Ruhe mit meinem Vorhaben aus dem Gleichgewicht brachten. Sie meinte zwar, ich solle ihr noch einmal eine E-Mail schreiben, weil sie sich das noch überlegen wolle, doch mir war in dem Moment schon klar, dass daraus nichts werden würde.

Mit gesenktem Kopf und nach großer Euphorie, wieder auf dem Boden der Tatsachen angelangt, spazierten wir zurück zum Wohnmobil. Das war wohl nichts, dachte ich und malte mir urplötzlich alle möglichen negativen Szenarien aus. „Klar, warum sollten sie auch gerade mich in die Bäckerei lassen? Mein Magazin wird eh nur im deutschsprachigen Raum veröffentlicht, warum also die ganzen Umstände?“ teilte ich Kati mit. Ich brauchte eine andere Strategie, und wir fuhren zu einem Bauernladen ganz in der Nähe.

Dort tranken wir gedankenvertieft einen Kaffee und aßen ein Stück Kuchen. Vielleicht war es vorteilhafter, die Betriebe vorher mit einer ausführlichen Mail anzuschreiben, die meine Person und meine Intentionen etwas besser erklärte. Außerdem könnte ich anbieten, alle von mir geschossenen Fotos kostenlos zur Verfügung zu stellen. Vielleicht würde ich dann etwas mehr Zuspruch bekommen.

Auf einem nahegelegenen Campingplatz erstellte ich eine Liste mit allen interessanten Bäckereien im Umkreis von 50 Kilometern, die ich im Internet finden konnte und schickte ihnen meine Bewerbung in Englisch, die ich vorher professionell übersetzen ließ, per E-Mail zu. Aber kein einziges Unternehmen meldete sich in den folgenden fünf Tagen auf meine Anfrage hin. Ich fand das unglaublich und kam auf die Idee, die Produktionskette etwas früher aufzubrechen: Bäckereien, die halbwegs traditionell arbeiten, bekommen oftmals Mehl aus einer guten regionalen Mühle. Also begab ich mich auf die Suche nach einer Mühle, die nicht zu groß war. Dank Internet wurde ich auch hierbei sehr schnell fündig und bestaunte bald darauf die „N.R. Stoate & Sons Cann Mills“ in Bozley Hill, ganz in der Nähe von Shaftesbury.

Erneut führte die Route über enge Straßen, durch die unser Wohnmobil gerade so passte. Diesmal versanken beide Außenspiegel im Blattwerk der Hecken und ein Zurücksetzen bei Gegenverkehr wäre nicht mehr möglich gewesen. Voller Hoffnung stand ich also im Hof der alten Mühle. Es war sehr laut, und im Gebäude konnte man kaum sein eigenes Wort verstehen. Niemand war zu sehen. Ich klingelte, es war ein grelles lautes Klingeln, das die vorherrschenden Geräusche um ein Vielfaches übertönte. Ein junger Mann kam aus dem Gebäude und teilte mir mit, dass im Moment noch Mittagspause sei. Daher geduldete ich mich noch eine Stunde, bis endlich Michael kam.

Michael war mir durch seine ungezwungene Freundlichkeit auf Anhieb sehr sympathisch. Mit einem Grinsen im Gesicht schritt er auf mich zu. Ich erzählte ihm von meinem Konzept, erläuterte ihm meine Schwierigkeiten und fragte ihn natürlich, ob ich auch über ihn selbst einen Artikel schreiben dürfte. Zu meiner Freude willigte er ein und bat mich, in ein paar Wochen wieder zu kommen. Er würde sich dann für mich einen halben Tag Zeit nehmen. Was die Bäckereien anging, hatte er eine Idee. Da er einige Bäckereien belieferte, die gut in mein Schema passten, war er sich sicher, die Bäcker dazu bewegen zu können, mich zu unterstützen. Michael rettete mir damit die gute Laune, ich bekam ein paar Adressen von ihm, und wir machten uns direkt auf den Weg zum Campingplatz. Von dort aus schrieb ich sofort alle wieder an, und wir blieben noch einmal ein paar Tage voller Hoffnung vor Ort.

Die Wartezeit vertrieben wir uns mit ausgedehnten Spaziergängen über Sand, Klippen und Strand gemeinsam mit Katis Hund Sunny. Keine der angeschriebenen Bäckereien antwortete. Ich war entsetzt, äußerst unzufrieden und schlecht gelaunt. Deshalb packten wir unsere Sachen und starteten eine Sightseeing-Tour. Ich forderte Kati auf, ein paar Orte zu nennen, die sie gerne sehen wollte. Ein paar Tage Urlaub war ich ihr ja schuldig, und wir machten uns auf, die Westküste entlang hoch nach Schottland zu fahren.

In Schottland, auf den Spuren der Highlander, suchten wir nachmittags ein Café. Direkt am Ortseingang von Benderloch befand sich auf der linken Seite das „Café Ben Lora“. Das „Ben Lora“ erwies sich im Nachhinein als voller Erfolg. Mit Jimmy, den ich dort kennenlernte, durfte ich „Scones“ backen. Danach schrieb ich noch ein paar Cafés und Bäckereien in Schottland an, aber es gab wie gewohnt keinerlei Rückmeldungen. Also machten wir uns kurzerhand weiter auf den Weg, die Landschaft zu genießen.

Bis zum Termin in der Mühle waren es noch zwei Wochen, und solange wollten wir die Zeit nutzen, um Schottland etwas näher kennen zu lernen. Es war leicht, die Arbeit in der wundervollen Landschaft zu vergessen. Es gab ein paar Ortschaften, die wir unbedingt besuchen wollten, wie zum Beispiel Loch Ness, den Glenfinnan-Viadukt, also die sogenannte „Harry-Potter-Brücke“ in den Highlands, Dunnet Head, nördlichster Punkt von Großbritannien, den Chanonry Point in Fortrose, wo man abends den Delphinen beim Eintreffen der Flut bei der Jagd zusehen kann, den Newburgh Seals Beach, wo man den Robben so nah ist, wie sonst nirgendwo in den freien Natur. Dann in Glenfiddich etwas zur Erheiterung ansehen und genießen, und das aus dem erfolgreichen Film „Braveheart“ bekannte Monument von William Wallace in Stirling bestaunen. Wir hatten das beste Wetter der Welt, die Menschen waren superfreundlich, uns ging es blendend und ich glaube, ich habe sogar noch im Schlaf gelächelt.

Die tollen Begegnungen und Erlebnisse waren nicht mit allem Gold der Welt aufzuwiegen. Dann ging es wieder zurück zu Michael. Auf unserem Programm stand der Termin mit der Mühle, und wir tourten von Edinburgh in Richtung Süden.

Gewöhnlich reise ich einen Tag vorher an. Ich mag es nicht, unpünktlich zu sein und habe mir angewöhnt, zu Verabredungen mindestens fünf Minuten früher auf der Matte zu stehen.

Wir nutzten die verbleibende Zeit und fuhren zu einer Bäckerei, die auf der von Michael verfassten Liste stand, nämlich der „Oxford Bakery“. Dort angekommen, trafen wir wieder auf eine Mitarbeiterin, der ich versuchte, mein Vorhaben zu erklären. Sie begriff sofort, um was es ging, fand es auch sehr interessant, wählte eine Nummer, kündigte uns an und drückte mir dann den Hörer in die Hand.

Ihr Chef war am Apparat. Ich nannte meinen Namen und schon folgte eine Entschuldigung. Er hätte meine E-Mail wohl gelesen, wollte sich auch bei mir melden, wäre aber in den letzten Wochen zu sehr eingespannt gewesen. Er versprach, gleich zu uns zu stoßen, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Mich versetzte das in Erstaunen und ich dachte, dass es künftig vielleicht besser wäre, die betreffenden Betriebe nach einer Mail direkt aufzusuchen und noch einmal persönlich anzusprechen.

Kurz darauf berieten wir den Ablauf unserer Zusammenarbeit und vereinbarten einen Termin für die folgende Woche. Nun hatte ich wenigstens eine Mühle, ein schottisches Café und eine Bäckerei in England. Das war für den Anfang nicht schlecht. Ich muss erwähnen, dass ich auf dem Weg zu meinem Termin in der Mühle eine Antwort von der „Leakers Bakery“ in Bristol mit einem Termin zehn Tage später erhielt. Super, geht doch, dachte ich und fuhr auf den Hof der „Cann Mills“. Während ich mit Michael das weitere Vorgehen besprach, öffnete sich die Tür des gegenüberliegenden Gebäudes. Paul Mary bat Michael kurz um Hilfe.

Michael war erstaunt, dass der 70-Jährige vor Ort war und stellte ihn mir gleich voll Freude vor. Paul betreibt in diesem Gebäude eine Backschule, die „Panary craft baking courses“. Michael fragte Paul ohne Umschweife, ob wir für unser Magazin einen Blick auf seine Arbeit werfen könnten. Paul stimmte begeistert zu und lud uns zum Fachsimpeln ein.

Eine weitere tolle Geschichte hatte sich so völlig überraschend ergeben. Im Nu waren sechs Wochen vergangen, und es war an der Zeit, unsere Rückreise anzutreten. Viele unserer Vorurteile haben sich während unseres Aufenthalts in Wohlgefallen aufgelöst. Wer hätte das vor Reisebeginn gedacht? Ich jedenfalls nicht. Der Linksverkehr ist nicht so schlimm wie befürchtet, die Kreisverkehre funktionieren sogar besser als auf dem Kontinent. Auch das Wetter war während der sechs Wochen grandios. Nur einmal haben wir den berüchtigten Nebel zu sehen bekommen. Und dieser hatte sich schon gegen Nachmittag aufgelöst.

Wir waren an Stränden, die vergleichbar mit denen auf Sylt oder Mallorca sind. Traumbuchten, wunderschöne Hafenstädte und nicht zu vergessen, das leckere Essen. Auffallend war auch das Miteinander, der Respekt, den sich die Menschen gegenseitig entgegenbringen. Hier wird noch gegrüßt, man verhält sich im Straßenverkehr äußerst zuvorkommend, niemand hat wegen rechthaberischem Tatendrang im Auto gehupt.

Zurück auf dem Kontinent, auf der Autobahn in Frankreich, frühmorgens um sechs Uhr, verhielt sich das wieder ganz anders. Da war es gleich vorbei mit der Ruhe. Ein scheinbar nervöser Franzose machte sich in meinem linken Außenspiegel bemerkbar. Mir kam es vor, als befände sich die Motorhaube seines Citroëns schon in meiner Heckgarage, und bald erreichten die ersten Hupsignale meine Ohren.

In Deutschland fielen mir sogleich die permanent links fahrenden Autos auf, die sich in einem Affentempo bewegten und mit Lichthupen freie Bahn erzwingen wollten. Oh, du grausame Welt der Ungeduldigen. Dennoch ist es schön, wieder gesund zuhause angekommen zu sein.

Abschließend kann ich England als Reiseziel jedem ans Herz legen, ein Urlaubsland, das von vielen weit unterschätzt wird.

Das Rezept zum Einstieg in dieses Land bekommen Sie am kommenden Freitag. Das original englische Bauernbrot (Farmers Bread) mit Sauerteig, allerdings nur, wenn Sie sich für den Newsletter „Rezept der Woche“ angemeldet haben.

Ich wünsche viel Spaß beim Backen. Nächste Woche berichte ich Ihnen von Paul, dem Backprofi aus der Mühle, bis dann und bleiben Sie gesund.